Mehr als funktional: Was zeichnet moderne Architektur aus?
Das Seagram Building als Symbol für moderne Architektur.
Einfach, geometrisch und funktional: Entspricht das Ihrer Vorstellung von moderner Architektur? In vielen Fällen liegen Sie damit richtig. Allerdings sind die Stilrichtungen der Moderne weitaus komplexer und vielseitiger. Erfahren Sie, was moderne Architektur auszeichnet und wie Sie Bauwerke dieser Epoche erkennen.

Keyfacts:

Der Begriff „modern“ gilt als Synonym für zeitgemäß und angepasst an die aktuellen Entwicklungen. In der Architektur ist die Moderne jedoch nicht so klar einzuordnen und zu erkennen. Das liegt daran, dass die Klassische Moderne verschiedene Stilrichtungen umfasst, die mitunter Einfluss bis in die Gegenwart haben. 

Was ist moderne Architektur?

Geschichtlich beschreibt die Moderne eine Kunst- und Architekturepoche mit unterschiedlichen Strömungen, die zeitlich nicht genau voneinander abgrenzbar sind. Zugleich steht der Begriff Modernismus für eine weltweit verbreitete Formensprache, die einheitlichen Grundsätzen folgt. 

Die Prinzipien der Klassischen Moderne entwickelten sich Anfang des 20. Jahrhunderts als Gegenentwurf zum Historismus, der sich Stilrichtungen vergangener Jahrhunderte zum Vorbild nahm. Architekten/-innen der Klassischen Moderne wendeten sich zunehmend von der prunkvollen Ästhetik ab und fokussierten sich stärker auf die Funktionalität von Gebäuden. 

Wann begann die moderne Architektur?

Ansätze der modernen Architektur fanden sich bereits Mitte des 19. Jahrhunderts in der englischen Arts and Crafts-Bewegung und in Kunstströmungen wie dem Jugendstil zur Jahrhundertwende. Die Klassische Moderne lässt sich grob auf die Jahre zwischen 1910 und 1960 datieren, in denen sich verschiedene Unterströmungen entwickelten, wie zum Beispiel: 

  • Expressionismus 

  • Neue Sachlichkeit und Neues Bauen 

  • Bauhaus 

  • Internationaler Stil 

  • Funktionalismus 

  • Brutalismus 

Brutalismus
Eine Unterströmung der Klassischen Moderne ist der Brutalismus. Quelle: iStock

Welche Stile gehören zur modernen Architektur?

Während beim Expressionismus geschwungene und gezackte Formen vorherrschten, lag der gestalterische Fokus moderner Architekten ab den frühen 1920er Jahren stärker auf der Zweckbetonung von Gebäuden und dem Verzicht von dekorativen Elementen. Diese „Neue Sachlichkeit", auch als Neues Bauen bekannt, folgte dem Anspruch, die Gestaltung nicht von ästhetischen Ideen abzuleiten. Dies führte unter anderem dazu, dass Stahlträger und andere Bauteile wie Versorgungsleitungen, Rohre und Betonwände nicht verdeckt oder verputzt wurden. 

Aus der Neuen Sachlichkeit entwickelte sich auch das Bauhaus, das auf klare Ordnung und eine gewisse Einfachheit durch geometrische Formen wie Kuben setzte. Der verwandte Funktionalismus gewann vor allem beim Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg an Bedeutung. 

Eine weitere wichtige Strömung der Klassischen Moderne ist der sogenannten Internationale Stil, der sich in den 1920er Jahren zunächst in Europa und später in den Vereinigten Staaten durchsetzte. Bis heute entsprechen viele Bürogebäude und Wolkenkratzer in den USA den Prinzipien des modernen Stils. 

Moderne Architektur, Bauhaus
Neue Sachlichkeit bedeutet eine klare Ordnung und eine gewisse Einfachheit. Quelle: iStock

Was zeichnet moderne Architektur aus?

Aufgrund der zahlreichen Strömungen unterscheiden sich moderne Bauwerke mitunter erheblich in ihrem Erscheinungsbild. Dennoch gibt es wiederkehrende Merkmale, die formalen und technischen Grundsätzen folgen. Typisch sind zum Beispiel Baumaterialien wie Stahl, Glas und Spannbeton. Die Architekturtheorie ist außerdem von den Leitsätzen zweier Vorreiter dieser Epoche geprägt: Form follows function („Die Form folgt der Funktion") von Louis Sullivan und Less is more („Weniger ist mehr") von Ludwig Mies van der Rohe. 

Die reduzierte, geradlinige Bauweise führt gelegentlich zu dem Missverständnis, die moderne Architektur ließe nur strikte geometrische Formen zu. Allerdings zeigen Strömungen wie der Expressionismus oder auch der Brutalismus, dass moderne Architektur weitaus vielseitiger und experimenteller sein kann. 

Die typischen Merkmale der Klassischen Moderne sowie ihren Strömungen verdeutlichen wir Ihnen an drei Beispielen. 

Beispiele für moderne Architektur

1. Eames House in Los Angeles 

Vier Jahre lang arbeitete das Paar Charles und Ray Eames an dem Entwurf für ihr privates Wohnhaus und Atelier in Los Angeles. Im Rahmen eines Fallstudien-Programms der Zeitschrift Arts & Architecture wollten sie ein Haus entwerfen, das den modernen Alltag widerspiegelt. Mit einem ebenso künstlerischen wie pragmatischen Ansatz schufen sie 1949 ein „Meisterwerk der Moderne".
 

Das Eames House besteht aus zwei geradlinigen Stahlboxen, deren Konstruktion mit schwarz lackierten Stahlträgern und Glasflächen von farbigen Rechtecken durchbrochen ist. Die klaren geometrischen Formen und technischen Materialien der fünf Meter hohen Fassade stehen im Kontrast zur grün bewachsenen Umgebung. 

Moderne Architektur
Eames House in Los Angeles als Sinnbild für die Moderne Architektur. Quelle: iStock

2. Seagram Building in New York City 

Ein Vorreiter für den Internationalen Stil ist das Seagram Building in New York City. Der rund 157 Meter hohe Wolkenkratzer von dem Architekten Ludwig Mies van der Rohe wurde 1958 fertiggestellt. Da Mies in New York nicht als Architekt zugelassen war, arbeitete er mit Philip Johnson zusammen. Wie für den Internationalen Stil typisch, sind die tragenden Elemente aus Betonstahl sowie bronzefarbene Balken hinter einer Glasfassade sichtbar. 

Die damals neuartige Konstruktion setzte sich als Standardverfahren beim Bau von Hochhäusern durch. Zusammen mit dem gegenüberliegenden Lever House 390 Park Avenue bestimmte das Seagram Building jahrzehntelang den Baustil der New Yorker Stahl- und Betonkolosse. 

Architektur 20. Jahrhundert
Die Klassische Moderne umfasst verschiedene Stilrichtungen. Quelle: iStock

3. Glaspaleis in den Niederlanden 

Der Entwurf für das Glaspaleis im niederländischen Heerlen galt 1934 als revolutionär und ist ein Paradebeispiel für das Neue Bauen. Für das einstige Warenhaus im Stadtzentrum entwarf der Architekt Frits Peutz eine Trägerkonstruktion aus 30 pilzförmigen Säulen, die mit jeder Etage schmaler werden. 

Die vollständig verglaste Fassade des 26,5 Meter hohen Baus schuf eine Atmosphäre, in der Besucher wie auf einem Marktplatz unter freiem Himmel einkaufen konnten. Da die Flächen der sieben Stockwerke nicht durch Wände unterteilt waren, entstanden offene, lichtdurchflutete Innenräume. 1995 wurde das restaurierte Glaspaleis unter Denkmalschutz gestellt und wird heute als Kulturzentrum genutzt. 

Beispiele der modernen Baukunst finden sich heute rund um den Globus. Strömungen wie die Organische Architektur und der Dekonstruktivismus brachten ab den 1960er Jahre allmählich eine Abkehr von den Leitsätzen der Klassischen Moderne hervor.

Dennoch sind die Prinzipien und Formensprache dieser Epoche noch immer in der internationalen Architektur verankert und prägen viele zeitgenössische Entwürfe.